Epigenetik Psychologie: Epigenetische Faktoren in der Psychologie

Menschliches Verhalten und psychische Gesundheit werden durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter Faktoren beeinflusst. Das gilt ebenso für die Epigenetik, die untersucht, wie und welche Umweltfaktoren die Genaktivität regulieren, ohne die DNA-Sequenz zu verändern.
Die daraus resultierenden Änderungen der Genaktivität werden offenbar vererbt und finden sich im Verhaltensmuster nachfolgender Generationen wieder. Dies betrifft auch psychologisch relevante Erlebens- und Verhaltensweisen wie Angst oder Stress.
Erfahre hier, welche Verbindungen es zwischen den beiden Disziplinen gibt, wie der aktuelle Forschungsstand aussieht und wie sich diese für Diagnostik und Therapie in der psychologischen Praxis nutzen lassen.
Epigenetik Psychologie: Der Zusammenhang
Auch wenn das Forschungsgebiet der Epigenetik und Psychologie auf den ersten Blick nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben scheinen, beeinflussen sie sich gegenseitig: Einerseits können Erfahrungen, die für die Psyche eines Menschen große Bedeutung haben, einen Einfluss auf epigenetische Mechanismen haben.
Ein typisches Beispiel hierfür sind traumatische Erfahrungen oder frühkindlicher Stress. Auf der anderen Seite beeinflusst nicht nur die genetische Modifikation, sondern auch die epigenetische Modifikation der Genaktivität, die wiederum selbst mit neurologischen und psychologischen Prozessen in Verbindung steht.
Das kann kurzfristige und langfristige Auswirkungen auf das Verhalten und die psychische Gesundheit haben.
Die epigenetische Modifikation ist darüber hinaus individuell sehr unterschiedlich und kann ebenso individuell unterschiedliche psychologische Reaktionen auf bestimmte Ereignisse hervorrufen. Personen mit bestimmten epigenetischen Profilen könnten etwa anfälliger für die Entwicklung bestimmter psychischer Erkrankungen sein.
Solche Befunde und das Wissen um den Einfluss epigenetisch bedingter Veränderungen auf die psychische Gesundheit können neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen.
Beispielsweise ist es denkbar, dass Behandlungen (oder Präventionsmaßnahmen) darauf ausgerichtet sind, epigenetische Mechanismen anzustoßen, die zu einer erhöhten Resilienz der Person gegenüber belastenden Ereignissen (z. B. Stress) führen. Dadurch könnte das Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen sinken.
Epigenetisches Prinzip als psychologisches Konzept
Der Begriff Epigenetik taucht auch in der Entwicklungspsychologie auf – hier allerdings in einem anderen Zusammenhang: Der Psychologe Erik H. Erikson hat Mitte des 20. Jahrhunderts ein Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung entworfen, das als “epigenetisches Prinzip” in die Geschichte der Psychologie einging.
Der Begriff bezieht sich jedoch weniger auf epigenetische Veränderungen im molekularbiologischen Sinn, sondern bezeichnet eher die Annahme, dass alle Menschen im Laufe ihres Lebens die gleiche Entwicklung durchlaufen. Dabei gilt es, verschiedene Entwicklungsaufgaben (Krisen) zu bewältigen, um die nächste Stufe zu erreichen.
Epigenetik und Trauma
Der Zusammenhang zwischen Epigenetik und stressbezogenen beziehungsweise traumatischen Ereignissen ist ein zunehmend wachsendes Forschungsfeld. Dabei geht es um die Frage, wie psychologische und umweltbedingte Faktoren die Genexpression beeinflussen können, ohne dass sich die DNA-Sequenz ändert.
Diese epigenetischen Modifikationen können eine entscheidende Rolle bei der Entstehung, aber auch der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) spielen.
Epigenetik Psychologie: Stress und Trauma im Tierversuch
Der Zusammenhang zwischen epigenetisch relevanten Mechanismen und psychologisch relevanten Ereignissen wurde zuerst im Tierversuch nachgewiesen.
Amerikanische Forscher zeigten, dass Stress und aversive Erfahrungen nicht nur das Verhalten der betroffenen Tiere verändert, sondern auch das ihrer Nachkommen. In ihrer Studie ließen die Wissenschaftler Mäuse lernen, dass der Geruch von Acetophenon mit leichten Elektroschocks verbunden ist.
Schon nach kurzer Zeit zeigten die Tiere entsprechende Reaktionen nur auf den Geruch, selbst wenn danach keine Elektroschocks folgten. Genau das gleiche Verhalten beobachteten die Forscher bei der nachfolgenden Generation Mäuse, die selbst nie die Erfahrung von Elektroschocks gemacht und auch noch nie zuvor den Geruch von Acetophenon erlebt hatten.
In einer anderen Studie konnten Münchner Wissenschaftler zeigen, dass sich Mäuse, die nach der Geburt durch eine kurzzeitige Trennung von der Mutter großem Stress ausgesetzt waren, anders entwickelten als Mäuse, die nicht gestresst wurden.
Die gestressten Tiere zeigten Beeinträchtigungen in der Gedächtnisleistung, einen verringerten Antrieb und gestörtes emotionales Verhalten sowie eine geringere Stresstoleranz und eine verstärkte Produktion von Stresshormonen – und das lebenslang. All diese Änderungen erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen (Depressionen).
Humanstudien
Ob sich diese Ergebnisse genau so auf den Menschen übertragen lassen, ist wissenschaftlich bisher nicht abschließend geklärt. Die ersten Humanstudien zu diesem Thema zeigen, dass die Wechselwirkung zwischen dem Epigenom des Menschen und den Umwelteinflüssen naturgemäß schwieriger zu untersuchen und offenbar auch deutlich komplexer ist.
Zum Beispiel scheint die Art des Stresses einen Einfluss auf die Epigenetik zu haben: Amerikanische Forscher untersuchten die Babys von Müttern, die in ihrer eigenen Kindheit Traumata durch Missbrauch oder Vernachlässigung erlitten haben.
Es zeigte sich, dass die Babys von emotional vernachlässigten Müttern stärkere funktionelle Verbindungen zwischen Hirnregionen aufwiesen, die für die Regulierung von Gefühlen von großer Bedeutung sind. Die Babys von körperlich misshandelten Müttern wiesen diese Veränderungen nicht auf.
Welche Folgen die neuronale Signatur der Mütter für ihre Babys hat, ist noch unklar und Gegenstand aktueller Forschung: Sie kann das Risiko für Angst oder aber die Stressresilienz des Kindes erhöhen.
Unabhängig von der Richtung des Einflusses lässt sich die neuronale Signatur möglicherweise auch im Kontext der Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen nutzen.
Epigenetik und Krankheiten
Negative Lebensereignisse und Erfahrungen sind wichtige Risikofaktoren für psychische Erkrankungen. Sie können jedoch nicht nur einen unmittelbaren Effekt auf die psychische Gesundheit haben, sondern über epigenetische Veränderungen auch auf nachfolgende Generationen wirken. Die daraus resultierenden Veränderungen können für die Diagnostik von Nutzen sein, aber auch Ziel für (psychotherapeutische und medikamentöse) Behandlungen sein.
Diagnostik
Faktoren wie ungesunder Lebensstil, Drogenkonsum oder chronischer Stress erhöhen die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Krankheiten. Sie zu kennen, erleichtert in vielen Fällen die Diagnostik. Das gilt nicht nur für verhaltensbezogene Risikofaktoren, sondern auch für genetische Vorbelastungen oder epigenetisch bedingte Veränderungen.
Letztere könnten als epigenetischer Marker wichtige Hinweise auf mögliche Erkrankungen geben und damit die Diagnose beschleunigen. Das DNA-Methylierungsmuster könnte insbesondere ein solcher epigenetischer Marker sein.
Tatsächlich gibt es einige Hinweise darauf, dass ganz unterschiedlicher pränataler Stress einen Effekt auf die DNA-Methylierung von Kindern hat, dennoch lässt sich dieser Effekt nach Einschätzung der Arbeitsgruppe um Psychologe A. Wannemüller noch lange nicht als “epigenetischer Fingerabdruck” interpretieren. Hier ist also weitere Forschung nötig.
Psychotherapie
Ein noch recht junger Forschungsbereich ist die sogenannte Therapiegenetik. Sie beschäftigt sich damit, wie der Therapieerfolg von psychotherapeutischen Behandlungen durch genetische und epigenetische Marker vorhergesagt werden kann.
Umgekehrt ist denkbar, dass psychologische Interventionen vielleicht epigenetisch wirksame Modifikationen im DNA-Methylierungsmuster verändern oder rückgängig machen können. Tatsächlich gibt es einige Studien, die zeigen, dass die Veränderungen der DNA-Methylierung bei Patienten, die von einer bestimmten Behandlung profitieren, genau andersherum aussehen als bei Patienten, bei denen die Therapie keine Verbesserung erzielt hat.
Allerdings sind die (wenigen) bisherigen Studien sehr unterschiedlich, sowohl in der Zusammensetzung der Stichprobe (Alter) als auch in der Art der psychischen Störungen und der jeweiligen Therapieform, sodass hier noch keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können.
Epigenetik Psychologie: Medikamentöse Therapie
Epigenetische Veränderungen lassen sich nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch in der medikamentösen Behandlung von psychischen Erkrankungen einsetzen. Einige psychische Störungsbilder (unter anderem Depressionen, Angst- und Panikstörungen oder PTSD) werden traditionell mit Medikamenten (meist Antidepressiva) behandelt.
Doch nicht immer erzielen diese eine zufriedenstellende Wirkung. Ein Grund hierfür könnte sein, dass das Epigenom der betroffenen Personen unterschiedlich aussieht und sich die Wirkung des Arzneimittels deshalb nicht gleich gut entfalten kann.
Durch die Kombination mit Wirkstoffen, die epigenetische Prozesse ansteuern, könnte dieses Problem vielleicht gelöst werden.
Dazu müssten die entsprechenden Substanzen jedoch spezifisch wirken, was sie bislang nicht tun. Auch hier besteht deshalb trotz der bislang vielversprechenden Ansätze noch großer Forschungsbedarf.